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Rezension: Manuel Eisner - Frühprävention von Gewalt und Aggression
Frühprävention von Gewalt und Aggression. Ergebnisse des Züricher Präventions- und Interventionsprojektes an Schulen. Manuel Eisner, Denis Ribeaud, Rahel Jünger, Ursula Meidert. Rügger Verlag, Zürich / Chur 2007. ISBN 978-3-7253-0880-4; 260 Seiten, 28,20€.
Anliegen der Publikation ist es durch eine enge Kooperation zwischen Forschung und Praxis einen wissenschaftlich fundierten Beitrag zur Entwicklung einer Strategie gegen Gewalt zu schaffen und so Impulse für die Gestaltung der kommunalen Präventionspolitik der Schweiz zu bieten. Mit diesem Anliegen werden die Ende 2007 veröffentlichten Ergebnisse einer Langzeitstudie des Präventions- und Interventionsprojektes an Züricher Schulen vorgestellt.
In dem einführenden Teil, wird zum einen der Sachstand der Verbreitung von Gewalt und die Grundlagen evidenzbasierter Prävention beschrieben sowie eine Übersicht über den Aufbau der Studie gegeben. In einem weiteren Abschnitt wird sehr differenziert auf Frühprävention eingegangen und deren Grundlagen und Chancen erörtert. Dabei werden zwei Konzepte der Frühförderung vorgestellt, einmal die der Förderung von Erziehungskompetenzen der Eltern und zum anderen die der Förderung der Sozial- und Lebenskompetenz, die sich an Kinder richten. Im Hauptteil der Publikation werden das Projektdesign, die Stichprobe, sowie die Datenerhebung beschrieben. Kernelement der Studie ist die Untersuchung zweier Programme im Rahmen der Frühförderung, Triple P und PFAD. Deren Umsetzung wird ausführlich im Hauptteil dargestellt. Im dritten Teil werden die Ergebnisse der Studie vorgestellt und differenzierte sowie praxisorientierte Vorschläge zu einer entwicklungsorientierten Präventionspolitik unterbreitet.
Bewertung:
Die Publikation schließt eine Lücke in der Forschung zur Entwicklung und Prävention von Gewalt. Die Entstehungsbedingungen gewalttätigen Verhaltens sind vielfältig erforscht – allerdings findet sich selten eine Studie, die mittels eines breit angelegten, randomisierten Stichprobendesigns die Effekte von Präventionsmaßnahmen über einen längern Zeitraum untersucht.
Die Ergebnisse bieten weitere Forschungsimpulse und geben wichtige Anregungen zur Weiterentwicklung von Prävention als Aufgabe der Politik, insbesondere durch die differenziert dargestellten Empfehlungen. Somit bildet diese Publikation einen erfreulichen Lichtpunkt in der gegenwärtigen Situation um die Diskussion der Jugendgewalt. Sie ermöglicht es, sowohl Präventionsakteuren als auch politisch Verantwortlichen, sich über die Entwicklungsbedingungen von Gewalt zu informieren. Gleichzeitig werden aktuelle Forschungsbefunde einer breiten Fachöffentlichkeit verständlich zugänglich gemacht.
Zu einzelnen Inhalten der Studie
Das Auftreten von Jugendkriminalität und Jugendgewalt wirft immer wieder die Fragen nach den Möglichkeiten der Prävention bzw. der Verhinderung solcher Ereignisse auf. Aus Sicht der Autoren gilt es, in dieser Diskussion zwischen zwei Perspektiven zu differenzieren:
a) Bezogen auf die unmittelbaren Vorläufer einer Tat:
Inwieweit Personen im Umfeld die Tat durch frühzeitiges Erkennen oder Einschreiten hätten verhindern können oder inwieweit durch Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen eine Identifikation der Täter möglich gewesen wäre.
b) Bezogen auf die individuelle Entwicklung der Täter:
Inwieweit lassen sich biografisch Rückschlüsse auf die Entwicklung von Gewalt ableiten, wo hätten geeignete Stellen einer Intervention oder Prävention gelegen und welche Schlussfolgerungen können hieraus für kommende Generationen abgeleitet werden.
Die von Eisner u.a. hier vorgelegte Studie fokussiert die zweite Perspektive. Im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit gewalttätigem, aggressivem oder auch zerstörerischem Verhalten durch familiäre und schulische Maßnahmen nachhaltig entgegengewirkt werden kann. Untersucht werden Maßnahmen der Frühprävention, deren Anliegen es ist, jugendspezifischen Formen von Fehlverhalten und Fehlentwicklungen vorzubeugen.
Die Autoren fassen unter Frühprävention solche Maßnahmen zusammen, die sich an Eltern, Kinder oder Erziehungspersonal richten und von der Schwangerschaft über frühe Elternzeit bis hin zu Programmen im Vorschul- und Grundschulbereich reichen. Diese Ansätze sind in aller Regel universell angelegt und zielen darauf eine ganze Generation zu erreichen. Stigmatisierungen werden somit vermieden. Ziel dieser Maßnahmen ist eine Förderung sozialer Kompetenzen. Die Maßnahmen orientieren sich am Entwicklungsverlauf von Kindern und schließen häufig auch Initiativen, die die Erziehungskompetenz der Eltern stärken sollen, mit ein.
In der Studie wird das Programm PATH im Grundschulbereich sowie Triple P als Elterntraining umgesetzt und evaluiert.
Das „Züricher Interventions- und Präventionsprojekt an Schulen, zipps“ ist als Langzeitstudie mit randomisierter Stichprobe angelegt. Teilgenommen haben 1675 Kinder, deren Eltern und Lehrpersonen. Diese wurden an bisher drei Erhebungszeitpunkten zwischen Mitte 2004 bis Ende 2006 befragt. Die Eltern kommen aus 80 Nationen, die Autoren gehen von einer kulturellen, ethnischen und sprachlichen Vielfalt aus, die mit anderen Städten Europas vergleichbar ist.
Die hier veröffentlichten Ergebnisse beziehen sich auf die Programmevaluation. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Studie als Längsschnittstudie angelegt ist, die es ermöglicht dieselben Personen über einen längeren Zeitraum regelmäßig zu befragen. Erfasst werden die für die Ausbildung von Problemverhalten und Delinquenz möglicherweise relevanten Aspekte der biografischen Entwicklung. Das besondere dieser Längsschnittstudie ist die Kombination aus Entwicklungsstudie und randomisiertem Feldversuch. Studien dieser Art gibt es, so ein Hinweis auf Farrington (2006), weltweit in der Kriminologie nur wenige.
Zum Studienaufbau: Verglichen wurden vier Gruppen, eine Gruppe mit einem reinen Elterntraining (Triple P), eine Gruppe mit dem Programm PFAD, eine Gruppe mit einem kombinierten Angebot sowie eine Kontrollgruppe ohne weiteres Angebot. Zur Größenordnung, insgesamt wurden 41 Triple P Kurse in vier Sprachen angeboten, sowie in 55 Klassen PFAD durchgeführt. Ein Ziel der Studie ist die Erfassung der Wirksamkeit im Rahmen einer breit angelegten Implementierung.
Für das Sozialkompetenztraining PFAD, wurde das international bekannte Programm PATHS ins Deutsche übertragen und angepasst. PATHS steht für „Promoting Alternative Thinking Strategies“ und wurde von Kusché und Greenberg (1994) erstmals vorgestellt. PFAD hat zum Ziel die emotionale Entwicklung von (Grund-)Schulkindern zu fördern und eine Integration sozialer, emotionaler uns kognitiver Kompetenzen zu ermöglichen. Das Programm zielt dabei nicht nur auf die Entwicklung des Einzelnen Kindes, sondern strebt auch eine Verbesserung des Sozialklimas in der Klasse sowie der Schule an. Zentrale Bausteine sind die Arbeit mit Gefühlen, die Stärkung des Selbstwertgefühls und des Selbstvertrauens, Umgang mit Regeln, Förderung der Selbstkontrolle und Problemlösefähigkeiten sowie die Stärkung positiven Sozialverhaltens. Nach Einschätzung der Autoren gilt es als eines der weltweit am besten evaluierten schulischen Präventionsprogramme.
Triple P ist ein Programm zur Förderung der elterlichen Erziehungskompetenz, es wurde ebenfalls weltweit evaluiert und liegt in mehreren Sprachen vor. Das Programm ist stark verhaltens- und lerntheoretisch orientiert, ein Ziel ist es, die Eltern-Kind-Beziehung zu verbessern. Das Programm gibt es in 5 Stufen, die je nach Problemintensität variieren. In der zipps wurde ein Gruppenstandardtraining mit 4 Sitzungen der Stufe 4 angeboten.
Die Ergebnisse der Studie sind viel versprechend, auch wenn sich auf den einzelnen Skalen nicht immer signifikante Ergebnisse zeigen. Die Wirkung der Programme wurde anhand der folgende Kriterien überprüft: Sozialverhalten der Kinder, Erziehungsverhalten der Eltern, Familienklima, Soziales Problemlösen, Veränderung der emotionalen und sozialen Kompetenzen, sowie Klassenklima und Verhaltensprobleme in der Schule.
Für Triple P konnten Veränderungen insbesondere in Bezug auf die Verbesserung des Familienklimas sowie ein Rückgang der körperlichen Züchtigung durch die Eltern festgestellt werden. Bei dem Programm PFAD ließen sich Teilerfolge hinsichtlich der positiven Beeinflussung von sozialer und emotionaler Kompetenz feststellen. Hinsichtlich aggressiver Schemata des Problemlösens zeigten die Kinder der PFAD-Klassen bessere Werte als die der Kontrollgruppe. Diese Effekte sind gering aber signifikant. Es gilt daher, diese Veränderungen durch Kontinuität langfristig zu sichern. Einen wesentlichen Einfluss auf die Veränderung des Verhaltens weist die Umsetzungsqualität auf. Das bedeutet, dass Kinder der Kurse bei denen Lehrpersonen und Schulen, das Programm mit hoher Motivation und Engagement einführten deutliche Effekte hinsichtlich verbesserten Sozialverhaltens zeigten im Gegensatz zu Klassen, in denen PFAD mit weniger Sorgfalt durchgeführt wurden.
Eine Verbesserung der Effekte durch die Kombination von Triple P und PFAD ließ sich nicht feststellen. Nach Ansicht der Autoren ist es dennoch zu früh um von langfristigen Veränderungen zu sprechen, da der dritte Erhebungszeitraum nur einige Monate nach der Intervention lag. Es ist daher geplant, weitere Erhebungen durchzuführen, um so die Nachhaltigkeit der Effekte kontinuierlich zu erfassen. Hierbei sollen, auch solche Personen befragt werden, die nicht aktiv an den Interventionen beteiligt waren. Hinsichtlich der Kombination der beiden Herangehensweisen an Frühprävention stellen die Autoren fest, dass PFAD und Triple P auf unterschiedlichen theoretischen Konzepten basieren, offen bleibt wie die Wirkung wäre, wenn die Programme aufeinander abgestimmt wären wie z.B. bei dem Programm EFFEKT.
Abschließend geben die Autoren Vorschläge zu einer entwicklungsorientierten Präventionspolitik:
Die Empfehlungen gliedern sich in allgemeine Hinweise, Empfehlungen für die Förderung evidenzbasierter Prävention sowie die Umsetzung von Elterntrainingsprogrammen und Sozialkompetenztrainings für Kinder. Hier sollen nur einige Empfehlungen hervorgehoben werden.
Die Autoren regen an, Gewaltprävention als allgemeinen Teil einer Gesundheitsförderung zu betrachten. Dies bedeutet, dass sie sich in die Prävention von Substanzkonsum sowie in Maßnahmen zur Förderung von psychischer und körperlicher Gesundheit einfügen sollte. Darüber hinaus sollte Prävention auf mehreren Ebenen und Entwicklungsstufen ansetzen, um so den vielfältigen Risikobedingungen gerecht zu werden. Die Förderung lokaler Netzwerke biete darüber hinaus eine wichtige Rahmenbedingung.
Zu einer besseren Verfügbarkeit evidenzbasierter Programme regen die Autoren die Einrichtung einer Fachstelle an, deren Aufgabe es u.a. sein sollte, Forschungsergebnisse für die Praxis aufzuarbeiten, bestehende Präventionsprogramme zu sichten und zu bewerten, bei der Umsetzung von Präventionsaktivitäten zu beraten und Qualitätskriterien für die Vergabe von Mitteln zu entwickeln. Darüber hinaus wird zur Überprüfung der Wirksamkeit von Präventionsprogrammen eine Forschungskooperation mit anderen Ländern angeregt.
In Bezug auf Elterntrainings sei auf eine Auswahl an unterschiedlichen Konzepten zu achten, um so den Anforderungen, die sich aus unterschiedlichen Erziehungsstilen sowie dem Alter und der Persönlichkeit der Kinder ergeben, gerecht zu werden. Es sei darauf zu achten, dass die Programme bildungsferne Eltern, Familien mit Migrationshintergrund, sowie mit besonderen Belastungen gezielt erreicht werden. Eine Schlüsselrolle kann hierbei den Schulen zukommen, die Eltern über Vereinbarungen erreichen können.
Es sei zu überprüfen, wieweit die Förderung sozialer und kognitiver Kompetenzen als fächerübergreifender Unterrichtsgegenstand eingeführt werden könnte, vergleichbar wie z.B. Informatik oder Medienerziehung. Auch sollte stärker geprüft werden, inwieweit sich der vorschulische Bereich eher für die Einführung von Frühprävention eigne, da hier noch nicht der curriculare Druck spürbar sei. Bei der Einführung von Sozialkompetenztrainings für Kinder sei ferner darauf zu achten, dass die Umsetzungsqualität hoch und die Lehrkräfte selbst eine hohe Motivation für dieses Programm haben. Die Autoren argumentierten gegen eine flächendeckende Einführung von Frühpräventionsprogrammen, da die Umsetzungsqualität stark von der Motivation der Lehrkräfte abhängig sei. Alternativ liegt hierin auch die besondere Herausforderung im Rahmen einer großräumigen Umsetzung. (Annette Schlipphak)