„Wird’s besser? Wird’s schlimmer?“ fragt man alljährlich. Seien wir ehrlich: Leben ist immer lebensgefährlich. Das Bonmot von Erich Kästner bringt zum Ausdruck, dass eine offene Gesellschaft mit Risiken und Veränderungen rechnen und leben muss.
Liebe Leserinnen und Leser,
viele Menschen fühlen sich durch die gestiegene Zuwanderung in ihren Lebensgewohnheiten und -gewissheiten bedroht, ein nicht zu übersehener Befund. Es wäre meines Erachtens jedoch falsch, den Bürgerinnen und Bürgern subjektive Sicherheit über die Vorstellung einer statischen kulturellen Ordnung zu vermitteln, die es im unausweichlichen Kulturkontakt durch Zuwanderung zu verteidigen gelte, gekoppelt mit Mechanismen bestmöglicher Abschottung. Vielmehr wäre es eher hilfreich, die verunsicherten Leute zu motivieren, die Chancen einer vielfältigen offenen Integrationsgesellschaft zu erkennen und Zusammenhalt durch gesellschaftliche Teilhabe aller in Deutschland lebenden Menschen zu erreichen. Gesellschaftlicher Zusammenhalt bedeutet integrierende Vielfalt: Pluralität von Meinungen und Anschauungen sind Ausgangspunkte für die Suche nach Gemeinsamkeiten. Ähnliches gilt für die Annäherung kultureller Verschiedenheiten. Gesellschaftlicher Zusammenhalt entsteht im Erlebnis von zivilem Umgang, Fairness und Gemeinsinn. Eine humane Gesellschaft benötigt daher gute Substrukturen, kleine Kieze und Nachbarschaften, also Netzwerke, in denen man sich zurecht findet und zuhause fühlt. Zusammengehörigkeit entsteht in der Begegnung und ihrem Einüben. Sinn, Werte und Moral werden in den Lebenswelten mit ihren Vorbildern und Verhaltensmodellen angeeignet. Erforderlich sind daher viele Anstrengungen, um das Zusammenleben in den Sozialräumen zu aktivieren. Die Bewältigung der Integrationsaufgaben im andauernden Zuwanderungsprozess könnte dabei auch eine stimulierende Chance sein und sollte nicht nur als administrative Belastung oder gar als kulturelle Bedrohung wahrgenommen werden.
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